Kurzaufruf zum Aktionstag gegen die deutsche Arbeitsmoral

Am 01. Mai laden Gewerkschaften, proletariatsverbundene radikale Linke, aber auch die extreme Rechte zu den traditionellen 1. Mai-Protesten. Sie berufen sich dabei direkt oder indirekt auf die sogenannte „Haymarket Affair“, bei der die Arbeiter*innenbewegung der USA 1886 zum Generalstreik aufrief, um den Achtstundentag durchzusetzen. Die damaligen Proteste eskalierten, mehrere hundert Demonstrant*innen wurden verletzt, dutzende starben, darunter auch Polizist*innen. Doch der Staat schlug zurück und in der Folge wurden vier der als Organisator*innen der Demonstration ausgemachten Anarchist*innen hingerichtet, ein weiterer beging Suizid. Erst 1938 wurde der Achtstundentag in den USA bundesweites Gesetz.

Heute, 122 Jahre später, ist der Achtstundentag zwar gängiger Standard in weiten Teilen des Globalen Nordens, in Deutschland ist er mit einigen Ausnahmen auch gesetzlich verankert, doch tendenziell wird diese Regelung immer häufiger unter Mithilfe der Arbeitnehmer*innen untergraben. Gewerkschaften, Arbeitnehmer*innen und sogenannte „Arbeiterparteien“ in Deutschland fordern zuweilen gar „mehr Arbeit“, vor allem jedoch die „Schaffung von Arbeitsplätzen“. Dabei leben wir in einer Gesellschaft, der aufgrund des hohen Technologisierungsgrades eigentlich die klassische Arbeit ausgehen müsste und das ist doch ein Grund zur Freude, oder?

Das sehen Vetreter*innen von Politik, Gewerkschaften und auch der größte Teil der Gesellschaft anders. Sie sehen den Verlust klassischer Arbeit als Bedrohung, schüren Angst vor der kommenden Beschäftigungslosigkeit und erhöhen so den Konkurenzdruck unter den Arbeitnehmer*innen. Sinkende Löhne und längere Arbeitszeiten sind eine Folge dieses Konkurrenzdenkens, denn wo sich zwei um einen Job streiten, da profitiert der*die Arbeitgeber*in. Doch die Tatsache, dass sich alle Fleißigen verbissen um ihre Arbeitsplätze streiten, ist nicht etwa ein Gewinn für alle „Faulen“, im Gegenteil: Das Thema Arbeit ist zu einer Ideologie geworden. Wer keinen (Vollzeit-)Job hat, wird als Abweichler*in der Norm betrachtet. Während gegen Langzeiterwerbslose der Generalverdacht erhoben wird, als „Parasit“ (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, 2005) von den Einkünften derer zu leben, die, wie es scheint, am liebsten alle Arbeit an sich reißen würden, steigt der Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt weiter, wenn zur „Aktivierung“ der Langzeiterwerbslosen Stellen zu Löhnen von zum Teil nur einem Euro pro Stunde geschaffen werden, um diese zu schikanieren und so in ein anderes ausbeuterisches Arbeitsverhältnis zu zwingen.

Dabei verschärfen sich die Ressentiments gegen Erwerbslose, die erschreckende Parallelen zu den im Nationalsozialismus gängigen Stereotypen und gezielten Verunglimpfungen gegnüber sogenannten „Asozialen“ (eine Bezeichnung, die auch heute noch gängig ist) aufweisen, immer weiter. Wenn rechte Parteien vor einer „Einwanderung in die Sozialkassen Deutschlands“ warnen und von „arbeitsfaulen Ausländern“ reden, erinnert das an die nationalsozialistische Verunglimpfung von Sinti und Roma als „Asoziale“ qua Geburt. Die Ressentiments gegen Erwerbslose haben in Deutschland also wieder eine deutliche, rassistische Ausprägung, oder sollte mensch sagen immer noch?

Erwerbslos zu sein, vor allem über längere Zeit, bedeutet jedoch nicht nur einen gesellschaftlichen Ausschluss aufgrund des Denkens der arbeitenden Menschen, mangelnden finanziellen Teilhabemöglichkeiten, usw., es bedeutet auch den willkürlichen Schikanen der Jobcenter ausgesetzt zu sein. Nicht nur wird von einer*m verlangt, jede Arbeit anzunehmen, eine gewisse Zahl von Bewerbungen pro Woche zu schreiben, es kann auch passieren, dass mensch an sinnlosen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen teilnehmen muss. Lässt mensch sich diese Schikanen nicht gefallen, drohen Sanktionen, bei denen ein Teil der einer*m zustehenden Grundsicherung gestrichen wird.

„Nur wer arbeitet, soll auch essen“, das sagte der SPD-Bundesarbeitsminister Franz Müntefering im Jahr 2010. Damit reihte er sich in die Linie mit Paulus, Hitler und Stalin ein, die diesen Gedanken allesamt auf ihre eigene Art und Weise geprägt haben. Zugleich versinnbildlichte der sozialdemokratische Politiker damit die Politik des deutschen Sozialsystems und verbalisierte einen Gedanken der so wohl von großen Teilen der Bevölkerung gedacht wird.

Wir haben all diese Diskriminierungen satt! Wir fühlen uns durch eine „Arbeiter*innenbewegung“, die nach immer mehr Arbeit ruft, nicht repräsentiert und wir sind nicht bereit, uns wegen unserer Erwerbslosigkeit schikanieren zu lassen oder bei solchen Schikanen zuzusehen. Dabei sehen wir die Diskriminierung von Erwerbslosen auch im Zusammenhang eines anhaltenden gesellschaftlichen Rechtsdrifts. Statt zu arbeiten wollen wir die deutsche Arbeitsmoral und die mit ihr einhergenden Diskriminierungen zerschlagen. Deshalb rufen wir euch dazu auf, euren Protest gegen die deutsche Arbeitsmoral am 01. Mai an all den Orten sichtbar zu machen, an denen die Unterdrückung Erwerbsloser sichtbar wird: An Arbeitsagenturen, Jobcentern, vor Sozialgerichten oder Firmen und Organisationen, die in Zusammenarbeit mit den Jobcentern Jobs für Langzeitarbeitslose zu entwürdigenden Löhnen schaffen. Durch Kundgebungen, kreative Aktionen oder millitante Angriffe.